Wintersonnenwende, Heinrichs Bölls Tante und Winston Churchills Mutter

Ende Dezember begehen wir die „Raunächte“ – eine Zeit, so sagt man, die uns mit unseren Ahnen verbindet. Auch meine weiblichen Vorfahren beschäftigen mich seit geraumer Zeit und wurden mir zu wichtigen Inspirationsquellen.

Eine Stelle aus meinem ersten Buch, „Die Meisterin“, spielt übrigens im dunklen Dezember, kündigt aber eine Vorfreude auf heitere Sommertage an.

Jedes Jahr zur Wintersonnenwende lief die gleiche, denkwürdige Szene ab: Tante Mia kam ganz in Schwarz gekleidet, mit einem Sonnenhut auf dem Kopf, und anstatt eines Grußes spreizte sie alle zehn Finger in die Höhe und meinte: „Ab heute werden die Tage wieder länger, ist das nicht herrlich?“

Meine Großtante Mia verstand es, mit einfachsten Mitteln aus Alltäglichkeiten Großartiges zu komponieren – dafür vergötterte ich sie. Was andere für Extravaganz hielten, war schlichtweg ein Talent, dank außergewöhnlicher Ideen ihrem Leben einen sprühenden Sinn zu geben.

Tante Mia (rechts) nach dem Konzert ihrer Sologesangsklasse im Festsaal des Linzer Rathauses

Dazu fällt mir ein Zitat ein von Winston Churchills „extravaganter“ Mutter Jennie ein: «Wir verdanken der Extravaganz viel, denn Sparsamkeit und Abenteuer gehen selten Hand in Hand.“ Ich empfehle die Lektüre der derzeit leider nur in Englisch verfügbaren Biografie: „Lady Randolph Churchill“:

Buchtipp: American Jennie – The remarkable life of Lady Randolph Chruchill

Aber auch auf Wikipedia kann man einiges über Jennie Churchills ungewöhnliches Leben erfahren: https://de.wikipedia.org/wiki/Jennie_Churchill

Dezember: Eine meiner Lieblingserzählungen, deren Hauptfigur „Tante Milla“ ist und mich daher besonders entzückt, ist Heinrich Bölls urkomische Weihnachtsgeschichte „Nicht nur zur Weihnachtszeit“: Tante Milla hat eine Vorliebe für die Ausschmückung von
Weihnachtsbäumen, eine „harmlose, wenn auch spezielle Schwäche, die im deutschen Vaterland ziemlich verbreitet ist“. Das führt zu den dramatischsten und komischen Verwicklungen – hier ein Auszug zum Anhören:

https://www.srf.ch/audio/hoerspiel/nicht-nur-zur-weihnachtszeit-von-heinrich-
boell?id=11195355

Ihr merkt, Biografien sind meine Leidenschaft, denn sie gewähren Einblick in die Leben spannender Persönlichkeiten, machen Ereignisse und Entscheidungen nachvollziehbar und hinterlassen einen kleinen Denkanstoß für das eigene Leben. Es heißt, Biografien zu lesen bedeute, auf die Schultern von Riesen zu steigen. Und tatsächlich eröffnen sich neue Blickwinkel über gewöhnliche Menschen, die außergewöhnliche Dinge tun. Zahlreiche Lebensgeschichten sind eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration, denn es geht um reale, ganz normale Menschen. Und liest man mehrere Werke aus der gleichen Zeitepoche, trifft
man oftmals dieselben Personen wie alte Bekannte wieder – zwar vielleicht dann nur als Randfiguren, aber solche, die ein gesellschaftliches Bild vervollständigen.

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