Rezension von Antonia Barboric

Musik war ihr Lebenselixier

Eine Geschichte voller Liebe und Bestärkung: das spannende Leben der extravaganten Mia Beyerl.

Ein lebendiges Haus voller starker Frauen in Linz: Unter diesem „mächtigen Frauenregiment“, zu dem Mutter, Großmutter und die Großtante zählen, lebt die achtjährige Christa mitsamt ihren zwei Schwestern. Christa wächst wohlbehütet auf, allein – ihr fehlen Spielkameradinnen. Ihr zwei Schwestern sind acht und zehn Jahre älter als sie, genannt „die Großen“, daher auch nicht mehr an der kleinen Nachzüglerin interessiert. Zumindest Großvater und Vater nehmen sich ihrer an und bringen ihr das Kartenspiel bei – was wiederum der Großmutter missfällt: Dieser Zeitvertreib sei „unfein und primitiv“. Indes kann sich deren Schwester, Großtante Mia, die 1969 in das Haus zieht, vor allem für Tarock erwärmen, und so steht sie Christa anfeuernd bei. Mit der Uroma ist es dafür umso spannender, wenn es ums Kartenspielen geht: „So lass doch die Uroma gewinnen“, wird Christa ermahnt.

Mias Einzug in das Haus gleicht einem Spektakel, und Christa empfindet die größte Freude beim Zuschauen. Mit Tante Mia kommt ein neuer, freier Geist ins Haus: eine für ihre Zeit ungewöhnliche Frau; dazu ihr Metier, die Kunst. Ihren Lebensunterhalt verdient sie, die zeitlebens Unverheiratete, sich mittels Gesangsunterrichts. Als eines Tages an der Tür jemand nach der „Meisterin“ fragt, verwehrt Christa dem Besucher den Zutritt, da es ihres Wissens nach keine Meisterin im Haus gebe. Dass die meisten ihrer Schüler sie so nennen, kann sie ja nicht wissen …

In ihren vier Wänden versucht sich Mia als Dirigentin und nimmt auch die drei jungen Mädchen, das von ihr nach dem geliebten Schubert so genannte „Dreimäderlhaus“, gesanglich unter ihre Fittiche. Regelmäßig betätigt sie sich als Dirigentin des Neujahrskonzerts, stilgerecht in Abendrobe hinterm Notenpult, mit Taktstock in der Hand – und einer leichten Verneigung zu Beginn. Für Opernübertragungen aus dem Radio kleidet sich Mia ebenso elegant, solche Tage kommen einem Feiertag für sie gleich. Sie hat ungewöhnliche Mitbewohner: eine Vielzahl an Kanarienvögeln, zehn bis 15 Stück sind es jeweils. Stirbt einer, wird er im Garten unter großem Tamtam begraben.

Als Christa zehn ist, nachdem sie zwei Jahre Klavierunterricht erhalten hat, darf sie neben Tante Mia am Klavier Platz nehmen und die Seiten umblättern. Mit der Zeit wird aus den zweien ein eingespieltes Team, und Christa ist von jetzt an als Mias Notenwenderin tätig, als „Blattlaus des Musikers“, wie es Mia bezeichnet. Christa hegt große Bewunderung für die Großtante, sie ist fasziniert von den langen, schlanken Fingern, der bereits älteren Frau, die so herrliche Musik herbeizaubern können. Eines Tages darf ihr Christa ihre Lieblingsmusiker nahebringen – die Rolling Stones. Mias Urteil: „Klingt gar nicht so schlecht, die Melodie hat sogar Stärke und Charakter, nur aussehen und bewegen tun sie sich fürchterlich!“

Nach dem völlig unerwarteten, frühen Tod von Christas Mutter nach einer misslungenen Operation fahren Mia und ihre Schwester mit Christa auf Urlaub – es ist das erste Mal, dass Christa das Meer sieht. Mia wirkt auf das Mädchen sehr souverän; sie ermutigt Christa, Neues auszuprobieren. Die Reise lenkt Christa von ihrem Verlust ab und bildet das Fundament für Christas und Mias enge Verbundenheit, die ein Leben lang anhalten wird.

In ihrer eigenen Kindheit erhält Mia schon früh Gesangs- und Klavierunterricht und wird in eine „Höhere Töchterschule“ geschickt, da die Eltern eine gute Bildung als sehr wichtig erachten. Auch ihre Schwester, Christas Großmutter, darf die Haushaltungsschule besuchen. Der vorgegebene Weg
für Frauen, in eine gut situierte Familie zu heiraten, missfällt Mia jedoch gründlich; viel lieber will sie den Weg der Kunst beschreiten. Sie verkündet daher eines Tages, Opernsängerin werden zu wollen – sie liebt die Kostüme, die Bühne, und sie will bewundert werden. In Wien studiert Mia Gesang und Klavier an der „Staatsakademie“. Sie hat keine große Stimme, aber beherrscht eine gute Technik und ist sehr diszipliniert. Schon während ihrer Ausbildungszeit tritt sie bei Konzerten, Liedertafeln und auf Volksbühnen in Linz und Wien auf. Außerdem absolviert sie Soireen, Liederabende und singt Operettenrollen und Solos.

Exzentrisch und extravagant, so kann man sich wohl die Auftritte von Mia vorstellen. Doch dann trifft sie ein schlimmes Schicksal: Aufgrund der Entbehrungen während der Wirtschaftskrise erkrankt Mia an Diphterie, die ihr die Stimmbänder zerstört: Sie ist erst 29 Jahre alt. Verweisen kann sie bis dahin auf eine großartige Ausbildung und eine kurze Karriere als Künstlerin. Doch sie gibt nicht auf. So widmet sie sich ab sofort vermehrt ihrem Klavierspiel und wird als Gesangspädagogin in Linz tätig. Ihr Freigeist erweckt in ihrer Schwester wohl Eifersucht – Mia werden Affären und ein Hang zur Liederlichkeit nachgesagt, zudem wird ihr kein Vermögen zu Sesshaftigkeit zugestanden. In der Zeit wird sie von den Eltern auch häufig allein auf Reisen geschickt, um einen Bräutigam zu finden. Doch sie kommt stets ohne Heiratsangebot zurück. Sogar als sie bereits um die 50 ist, hegt ihre Mutter noch die Hoffnung, dass die Tochter doch noch einmal heiraten wird. Indes ist sie strebsam, stets bedacht auf ihr Fortkommen, kennt ihre Grenzen und kann Hindernisse überwinden – am besten ohne fremde Hilfe.

Auf gutes und zuvorkommendes Benehmen sowie Tischmanieren legt Mia, eine anfangs sehr, dann immer weniger überzeugte Zeugin Jehovas, großen Wert; daher beklagt sie das Verschwinden der legendären österreichischen Höflichkeit. Mit der heranwachsenden Christa, die sie trotz ihres jungen Alters ernst nimmt und als gleichwertige Gesprächspartnerin ansieht, bewertet Mia das Auftreten und Gebaren diverser Männer im Kaffeehaus, und sie unterweist sie in der hohen Kunst der Konversation. So mag es nicht verwundern, dass Christa auf einer Schulreise Zweifel hegt, wie sie die Ansichtskarte an die Großtante adressieren soll: „Fräulein Mia Beyerl“, weil unverheiratet, oder doch „Frau“, weil sie schon ein gewisses Alter hat? Fräulein muss es sein, stellt Mia klar, doch Christa wählt dennoch fortan stets ein „Sehr geehrte Meisterin Mia Beyerl“.

Für Christa bildet Mia das erste weibliche Vorbild ihres Lebens; sie ist fasziniert von Mias Fundus an Schuhen, langen (Abend-)Kleidern und modischen, baumelnden Ohrringen. Zweimal täglich genehmigt sich Mia ein Achterl Rotwein: So sei dies gut für die Stimme, für ein natürliches Rouge, jugendliche Frische – und die Betonung ihrer markanten Wangenknochen. Mia behält ihre Würde und Eleganz bis ins hohe Alter bei. Bis zu ihrem 74. Lebensjahr unterrichtet sie und macht täglich eine Stunde lang Fingerübungen. Dann jedoch beginnt ihr Hörvermögen nachzulassen, sie verliert ihre klare Aussprache, auf die sie stets sehr bedacht war, bewegt sich immer schwerer, leidet am grauen Star und muss sich schließlich einer Magenoperation unterziehen. Ihre Großnichte hält an ihrem Sterbebett ihre Hand.

Ganz im Sinn von Mias Leitsatz „Exzentrik ist Mut zur Persönlichkeit und Geschmack“ zeichnet Christa Prameshuber ein umfangreiches Bild der von ihr geliebten und verehrten Großtante, einer außergewöhnlichen und höchst interessanten Frau und Künstlerin. „Die Meisterin“ darf auf rund 100 Seiten wiederauferstehen und ihren Glanz demonstrieren.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Alle Neuigkeiten von Christa Prameshuber bequem ins Email Postfach!

Neue Bücher, Hintergrundberichte, Termine uvm.

15856
Nach oben scrollen