„Wie ein Großbrand einen Welthit inspirierte und was ein Literatur-Nobelpreisträger mit Jazz zu tun hat – die faszinierenden Geschichten des Montreux Jazz Festivals“

Das Montreux Jazz Festival feiert dieses Jahr seine 58. Ausgabe und ist längst ein Mythos: Seit 1967 zieht es Stars aus aller Welt an, die hier Höchstleistungen zeigen, Extravaganzen begehen und Musikgeschichte schreiben. Als eines der bekanntesten und angesehensten Festivals weltweit findet es jedes Jahr im Juli statt. Dieses Jahr finden die Konzerte auf einer eigens am See errichteten Bühne statt, die Platz für 5000 Besucher bietet, da der Gesamtkomplex mit dem legendären „Auditorium Stravinsky“ renoviert wird und erst 2026 wieder eröffnet.

Es begann 1967 mit Festival-Gründer Claude Nobs (1936–2013), der in Montreux bis heute verehrt wird. Eine Straße und das Lokal „Funky Claude“ erinnern an ihn. Der gelernte Koch, der beim Verkehrsverein von Montreux als Buchhalter arbeitete, baute sich durch zahlreiche Reisen ein weitreichendes Beziehungsnetz auf. Schon 1964 holte er die Rolling Stones für ihr erstes Konzert in die Schweiz. Drei Jahre später gründete er mit zwei Gefährten das Montreux Jazz Festival mit einem Budget von nur 10.000 Franken und ohne bezahlte Mitarbeiter.

Claude Nobs – Wikipedia
de.wikipedia.org

Der Auftakt war spektakulär: Im Casino Montreux trat der gefeierte Saxophonist Charles Lloyd auf, begleitet von dem damals blutjungen Keith Jarrett am Piano. In den folgenden Jahren standen Soul-Diva Nina Simone, Aretha Franklin, Ella Fitzgerald, Etta James und Jazzpianist Bill Evans auf dem Programm. Evans’ Mitschnitt seines Montreux-Auftritts erhielt 1969 einen Grammy.

Nobs gelang es immer wieder, große Stars nach Montreux zu locken und das Festival auch für Rock und Pop zu öffnen. So engagierte er 1970 Carlos Santana, der im Jahr zuvor beim legendären Woodstock Festival vor einer halben Million Menschen gespielt hatte. Neben Jazzfans kamen nun auch viele Hippies an die „Schweizer Riviera“, die Nobs als „unser Publikum der Zukunft“ bezeichnete.

Seinen Übernamen „Funky Claude“ verdankt Nobs einem Brand und Deep Purple. Als Frank Zappa 1971 im Casino von Montreux ein Konzert gab, brach ein Feuer aus und zerstörte das Gebäude vollständig. Deep Purple wurde Zeuge dieses Ereignisses und ließ sich zu einem ihrer größten Hits, „Smoke on the Water“, inspirieren. Der legendäre Songtext erzählt die Geschichte:

“We all came out to Montreux
On the Lake Geneva shoreline
To make records with a mobile, yeah
We didn’t have much time now
Frank Zappa and the Mothers
Were at the best place around
But some stupid with a flare gun
Burned the place to the ground
Smoke on the water, a fire in the sky
(Smoke) on the water, you guys are great
They burned down the gambling house
It died with an awful sound
Funky Claude was running in and out
He was pulling kids out the ground now
When it all was over
Find another place
Swiss time was running out
It seemed that we would lose the race
Smoke on the water, a fire in the sky
Smoke on the water
Burn it down…”
Deep Purple
Deep Purple – Smoke on the Water auf YouTube

Nobs verstand es meisterhaft, selbst die anspruchsvollsten und eigenwilligsten Stars umgänglich und spielfreudig zu stimmen. Jazz-Pianist Keith Jarrett war beispielsweise überhaupt nicht zufrieden mit dem zur Verfügung gestellten Flügel. Kritisch drückte er einige Tasten und schüttelte den Kopf. Der als Choleriker bekannte Jarrett verlangte stur nach einem Grand Concert Steinway, der dann eilends aus Lausanne herbeigebracht wurde. Doch auch dieser befriedigte ihn nicht: „Der tönt aber nicht so gut“, meinte Jarrett, „dann spiele ich doch lieber auf dem ersten.“

Auch den oft launischen Chuck Berry konnte Nobs 1972 milde stimmen. Er wusste, dass der Rock’n’Roll-Pionier eine Vorliebe fürs Angeln hatte, und stellte deshalb ein Fischerboot bereit – sicherheitshalber mit ein paar Fischen, die Berry als Fang präsentieren konnte. Es funktionierte, und Berry war während des Konzerts in Hochstimmung.

Miles Davis wollte unbedingt ein Cabriolet. Er bekam es in Rot – doch er verlangte nach einem schwarzen, passend zu seiner Hautfarbe. Und um die voluminöse Mähne von Funk-Ikone James Brown aufzupäppeln, musste in Windeseile eine Trockenhaube organisiert werden.

Musiklegende Prince reiste 2013 mit einer 50-köpfigen Entourage an, und die Festivalmacher mussten ihm zwei große Spiegel, zwei Tischchen mit exakt 20 cm Durchmesser und Kräutertee mit Honig und Zitrone in Porzellantassen mit Silberlöffelchen bereitstellen. Dafür gab er drei Konzerte. Aretha Franklin ließ sich der Anekdote nach mit Schweizer Schokolade zum Auftritt in Montreux überreden. Und Nina Simone ergänzte ihren Vertrag handschriftlich mit dem Wunsch nach einer Armbanduhr mit Diamanten von Piaget. Nobs rannte ins Uhrengeschäft und kaufte eine solche – die mit den kleinsten Diamanten.

Fast jedes Konzert in Montreux wurde von Beginn an mitgeschnitten. Diese Aufnahmen gelten seit 2013 als UNESCO-Weltkulturerbe und werden in doppelter Ausführung in einem Bunker in Claude Nobs’ Chalet und an der Hochschule EPFL, die diese digitalisiert haben, in Lausanne aufbewahrt: 15.000 Stunden an Konzerten auf 14.000 Ton- und Videobändern.

Die Verbindungen zwischen der Musik und Montreux sind tiefgreifend und dauerhaft, weshalb die Stadt 2023 in das Netzwerk der kreativen Städte der UNESCO aufgenommen wurde. Queen-Legende Freddie Mercury hat einen festen Platz in Montreux: seine Bronzestatue steht direkt am See. Er lebte hier trat jedoch nie beim Festival auf. In Claude Nobs’ Chalet oberhalb von Montreux war er oft zu Gast, einmal auch mit David Bowie, der ebenfalls in der Nähe wohnte. Nobs sagte zu den beiden: „Geht doch mal ins Studio runter und spielt was zusammen.“ Zwei Stunden später kehrten sie zurück und verkündeten: „So, jetzt haben wir ein neues Stück komponiert, es heißt ‚Under Pressure‘.“ In zwei Stunden hatten Mercury und Bowie einen Welthit erschaffen. David Bowie trat nur einmal, 2002, beim Festival auf.

Bronzestatue Freddie Mercury

Das Montreux Jazz Festival zieht jährlich über 250.000 Besucher an und beeindruckt nicht nur mit seiner einzigartigen Atmosphäre am Genfersee, sondern auch durch die enge Zusammenarbeit mit Künstlern und die musikalische Vielfalt.

Und die Literatur? 2023 trat erstmals Bob Dylan auf, der 2016 als erster Musiker den Nobelpreis für Literatur für „seine poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songtradition“gewann. War das verdient? Ich hätte den Preis eher Leonard Cohen zuerkannt, der fünfmal in Montreux auftrat – erstmals 1976 als junger Künstler und zuletzt 2013. Für mich war Leonard Cohen der größte Poet.

Seit 1990 besuche ich fast jedes Jahr das Festival und bin jedes Mal aufs Neue begeistert. Ich sah Konzerte mit Miles Davis, Ray Charles, Norah Jones, Joan Baez, Jamie Cullum, Diana Krall, Tom Jones, den Beach Boys, Randy Crawford, Stevie Wonder, Melody Gardot, Astrud Gilberto, Stan Getz und vielen mehr. Seit 2015 wohne ich hier in der Altstadt, der Flair dieser Stadt ist das ganze Jahr über einmalig und hat mich verzaubert. Künstler leben überall, es ist multikulturell und spontane Konzerte sind keine Seltenheit. Die Menschen hier sind weltoffen und großzügig und sie lassen Literatur und Musik hier zusammentreffen.

Seit 1967 wird die Gestaltung des offiziellen Posters internationalen Kunstschaffenden anvertraut. Diese Plakate sind jedes Jahr einzigartig und spiegeln die visuellen Trends ihrer Zeit wider. Damit leistet das Festival alljährlich alljährlich nicht nur einen Beitrag zur Musik, sondern auch zur Kunstgeschichte.

Unter den Gestaltern waren Größen wie Keith Haring, Andy Warhol, Niki de Saint Phalle und Tomi Ungerer. In den 1990er Jahren beauftragte Claude Nobs sogar Musiker mit der Gestaltung: David Bowie 1995 und Phil Collins 1998.

Plakat von Niki de Saint Phalles 1984

Das Festival generiert etwa CHF 80 Millionen an wirtschaftlichem Einkommen für Montreux und die Region. Während der zweiwöchigen Veranstaltung erwirtschaften die Hotelbesitzer in Montreux etwa 20 % ihres Jahresumsatzes.

Der Künstler, der am häufigsten beim Montreux Jazz Festival aufgetreten ist, ist übrigens Herbie Hancock. Er hat insgesamt 30-mal an dem Festival teilgenommen. Dicht gefolgt wird er von B.B. King, der 21 Auftritte hatte.

Und wie sagte Freddie Mercury einst “If you want peace of mind, come to Montreux”

Homepage – Montreux Jazz Festival
Le Montreux Jazz Festival se déroule durant deux semaines chaque été en Suisse, au bord du lac Léman. Fondé en 1967 par Claude Nobs, le Montreux Jazz Festival est devenu au fil des ans un rendez-vous incontournable, générateur d’histoires et de performances légendaires.
www.montreuxjazzfestival.com

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1 Kommentar zu „„Wie ein Großbrand einen Welthit inspirierte und was ein Literatur-Nobelpreisträger mit Jazz zu tun hat – die faszinierenden Geschichten des Montreux Jazz Festivals““

  1. Rosmarie Streicher

    Liebe Christa, wenn man denkt, man weiss schon alles über eine Sache, dann irrt man sich: weil Christa hat immer die Nase vorn! Coole Idee von Dir, über Deine Herzensgehend zu schreiben. Keep going. Liebe Grüße vom Zuerisee. Rosi

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